Das Next Level von risk´n´fun
Das Skigebiet in Sichtnähe. So nah und doch so fern für uns. Wir wollen hoch hinaus. Wir schnallen uns die Ski und Snowboards ab und packen unsere Felle aus. Wir sind bereit, bereit für den Aufstieg.
Ski- & Snowboardtouren haben einen besonderen Flair: Durch grandiose Winterlandschaften aufsteigen, die Stille der Natur genießen, die eigene Atmung hören, den Blick schweifen lassen und mögliche Lines im Schritttempo studieren. Langsam Richtung Gipfel kommen und dort für kurze Zeit „über allem“ sein. Dem Liftalltag den Rücken zu kehren, bedeutet aber auch, verstärkt mit sich selbst und den eigenen, persönlichen Limits konfrontiert zu sein. Zudem kommen die gruppendynamischen Komponenten und nicht zuletzt der wichtige Aspekt der ungesicherten Umgebung hinzu. Wir sind im freien Gelände. Stimmen der Lawinenlagebericht, der Wetterbericht und die vorhergesagten Schneeverhältnisse mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein? Können wir unseren Aufstieg und unsere Abfahrt wie geplant durchziehen? Fragen werden gestellt. Wir nehmen alles wahr, beurteilen die Situation und entscheiden. Werden wir in den Hang eindroppen?
Der eigenverantwortliche Umgang mit Risiken
risk´n´fun ist alles andere als ein Frontalvortrag, bei dem der Bergführer und der Trainer die Gruppe leiten und alles vorgeben. Es geht um uns, die TeilnehmerInnen. Es geht um´s „Selbsttun“. Und so sind wir es, die das Zepter (oder sind es eher die Ski, die Karte und die Planung?) in der Hand halten und unsere eigenen Touren – natürlich immer noch in Absprache mit Bergführer und Trainer – organisieren. Doch wie gehen wir vor? Im ersten Level von risk´n´fun haben wir die 3 Säulen Wahrnehmen – Beurteilen – Entscheiden schon kennengelernt. Beim Freeriden müssen wir bewusst wahrnehmen, um entscheidungsrelevante Informationen zu sammeln. Diese müssen wir im nächsten Schritt beurteilen, und das verlangt Know-how. Zum Beispiel muss ich Windzeichen erkennen können und wissen, was diese bedeuten. Zum Schluss müssen wir uns noch für oder gegen eine Line entscheiden. Hier sind die beurteilten Informationen abzuwägen und in Balance zu bringen. Doch beginnen wir ganz von vorne. Ein Freeride-Tag liegt vor uns!
Planung & Orientierung
Wo geht es eigentlich hin? Beim Freeriden muss der Fokus bei der Orientierung noch nachgeschärft bzw. vertieft werden. Die Kartenkunde ist für uns ein wichtiger Punkt, denn bevor es endgültig ins Gelände geht, müssen wir natürlich wissen, wo wir genau sind und wo unser Ziel liegt. Hierfür lernen wir mit der Karte zu arbeiten und verwenden diese nicht nur in der Theorie, also am Tisch bei der Planung, sondern auch direkt im Gelände. Das haben wir bei unserem ersten Gebietscheck schon einfließen lassen. Finde ich die Mulde oder den Grat, die ich vor mir im Gelände sehe, auch auf der Karte? Und umgekehrt? Gibt es noch andere Orientierungspunkte, die mir weiterhelfen können? Welche Infos kann ich zum Beispiel aus den Höhenlinien herauslesen? Decken sich Aufstiegsspur mit der Abfahrtsvariante?
Unerlässlich für die weitere Planung sind natürlich auch der Wetterbericht, der aktuelle LLB (Lawinenlagebericht), aber auch Gruppengröße und „Leistungslevel“. Wie viele Personen sind wir? Wie fit sind die einzelnen Gruppenmitglieder? Wie viel Geländeerfahrung habe ich, haben wir?
Alle Faktoren für die ersten kürzeren Touren, werden am besten schon am Vorabend zusammengetragen, gemeinsam ausgearbeitet und geplant. Wir haben also eine Strategie, wissen wohin wir wollen, wie lange wir von A nach B benötigen und wo wir abfahren werden. Dennoch behalten wir immer auch einen Plan B bereit. So steigt die Vorfreude für einen coolen Tag inklusive Alternativen, falls sich unvorhersehbare Änderungen ergeben.
Rucksack & Material
Unser Ziel, langsam, aber sicher ins Backcountry reinzuschnuppern, erfordert auch eine Anpassung bei der generellen Tagesplanung. Das fängt bereits beim Rucksackpacken an: Habe ich meinen Rucksack so ergänzt, dass ich einen ganzen Tag im Gelände verbringen kann? Neben der obligatorischen Notfall- und Erste-Hilfe-Ausrüstung stehen hier noch etwa Jause, Tee, Klamotten zum Wechseln, Reservehandschuhe, Karte, Stirnlampe, etc. auf der Packliste. Auch unsere Klamottenwahl kann und wird höchstwahrscheinlich beim Tourengehen gänzlich anders sein, als bei einem Tag auf der Piste. Kann ich genug ausziehen, wenn es beim Hiken etwas wärmer wird? Habe ich wärmende Kleidung für den Materialumbau am Gipfel und auch für die Abfahrt? Meist ist der Zwiebellook die erste Wahl!
Jetzt fehlt im Vorfeld noch der Faktor Material. Habe ich alles, was ich benötige? Passen die Felle, Harscheisen und Stöcke? Ist alles funktionstüchtig? Kann ich mit meinem Material auch richtig umgehen? Komme ich mit meinen Aufstiegshilfen zurecht?
Ab ins Backcountry
Wir sind ready! Ready für den Aufstieg und unsere geplante Tour. Wir spüren den Schnee, genießen die Anstrengung und sind ganz im Hier und Jetzt. Wir saugen die Informationen in uns, wir beobachten und nehmen aktiv wahr. Ist das Wetter, wie es vorhergesagt wurde oder zeichnet sich ein Wetterumschwung ab? Passt der Lawinenlagebericht zu den vor Ort vorherrschenden Bedingungen? Wie ist der Schnee? Sehe ich Gefahrenstellen? Immer wieder überprüfen wir mit den gewonnenen Informationen unsere erarbeitete Strategie und passen sie gegebenenfalls an die Bedingungen an.
Was beim Tourengehen besonders auffällt? Neben der UMWELT, all den „hard facts“, nehmen die „soft facts“, also die Komponenten ICH und GRUPPE, einen enormen Stellenwert ein.
Wie fühle ich mich heute? Wie ist die Stimmung in der Gruppe? Wir alle sind eigene Persönlichkeiten. Dazu kommt noch die Tagesverfassung. Mit einer Gruppe im Gelände unterwegs zu sein, bedeutet einerseits ehrlich zu sich selbst zu sein. Seine Stärken und Schwächen erkennen. Wie ist meine Motivation für die heutige Tour? Wie ist mein Fahrkönnen? Andererseits bedeutet es aber auch gruppendynamische Zusammenhänge zu erkennen und zu hinterfragen. Wie bringe ich mich in der Gruppe ein? Wer hat welche Rolle? Was macht die Gruppe mit mir? Fühle ich mich wohl mit der Entscheidung der Gruppe oder lasse ich mich „überzeugen“? Das sind alles Fragen, die für mich, aber auch für die Gruppe wichtig sind. Und so sollten wir das auch ehrlich untereinander kommunizieren. Keiner kann Hellsehen, auch wenn wir uns das manchmal wünschen würden!
Drop in
Wir haben es geschafft, also zumindest den Aufstieg. Nun stehen wir oben am Grat, vor uns unverspurter Powder. Jeder von uns spürt das Kribbeln in den Fingern, die Vorfreude. Doch können wir auch wirklich eindroppen? Noch einmal gilt es die wichtigen Informationen wahr zu nehmen, zu beurteilen und uns dann zu entscheiden – für oder gegen den Hang. Sind noch alle fit für die Abfahrt? Wie ist das Wetter, die Sicht? Wie sind die Schneebedingungen? Gibt es Gefahrenstellen? Worauf müssen wir bei der Abfahrt achten?
Yeah! Die Entscheidung für ein Go ist gefallen. Wir gehen nochmals unsere Abfahrtsstrategie durch und machen uns unsere sicheren Treffpunkte aus. Mit einem fetten Grinser ziehen wir die ersten Lines in den Schnee. Glücklich aber auch geschafft, beenden wir den Tag mit einer Reflexion. Wir leben eine positive Fehlerkultur, nutzen die Gelegenheit und geben uns gegenseitig offen Feedback. Was ist gut gelaufen, was können wir schon morgen verbessern? Denn wie heißt es so schön – nach dem Run ist vor dem Run. Und so nutzen wir den Abend und planen die nächste Tour.
(Beitrag ist im Golden Ride Magazine – Snow Issue 54 erschienen)
Text by Miriam Weiherer & Gitti Köck, Pics: Miriam Weiherer